Biestmilch, die Lebensversicherung für das Lamm

Biestmilch (Kolostrum) ist  die Milch, die unmittelbar nach der Geburt ermolken wird. Sie wird in den letzten Trächtigkeitswochen gebildet, wenn das Muttertier aufeutert.

Biestmilch ist aus zwei  Gründen wichtig für das Neugeborene:

  • Zum einen enthält sie jede Menge Fett und damit Energie, die dem Lamm ermöglicht, in seiner neuen Umgebung zu überleben. Ein Lamm kommt mit nur wenigen Energiereserven, dem so genannten braunen Fettgewebe, auf die Welt. Diese erlauben einem Lamm mit 4kg Geburtsgewicht, in einer Umgebung ohne Zugluft bei einer Temperatur zwischen 0 und 10 °C für etwa zehn Stunden seine Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Ein Lamm mit 2,5 kg hält unter gleichen Bedingungen nur  sechs Stunden durch. Dann beginnt die Körpertemperatur abzufallen, ein Zustand, den man als Hypothermie bezeichnet, und der für 30% der Todesfälle bei neugeborenen Lämmern verantwortlich sein soll.

  • Zum anderen enthält Biestmilch Antikörper, die das Lamm solange schützen, bis es selbst genügend Antikörper produzieren kann. Die Schranke zwischen dem Blut der Mutter und dem des Lammes, das sie trägt, ist für so  hochmolekulare Eiweißkörper wie Antikörper undurchlässig. Deshalb kommt ein Lamm als „Immunanalphabet“ auf die Welt und ist auf die Antikörper der Biestmilch angewiesen. Unzureichende Biestmilchaufnahme erhöht das Risiko, vor der fünften Lebenswoche zu sterben, um den Faktor 2,3.


Das Lamm muss die Biestmilch aus zwei Gründen so bald als möglich aufnehmen:

  • Nur die erste Generation der Epithelzellen im Darm ist durchlässig für große Moleküle wie Antikörper. Die Zellen  werden  nach und nach durch neue (undurchlässige) ersetzt. Nach sechs Stunden werden nur noch 50% der Immunglobuline resorbiert und nach einem Tag ist das Darmepithel dicht für große Moleküle.

  • Die Konzentration der Immunglobuline nimmt in der Biestmilch rasch ab. Nach etwa acht Stunden sind nur noch die Hälfte enthalten, nach 18 Stunden so gut wie keine mehr, auch wenn die Milch aufgrund des hohen Fett- und Vitamingehaltes noch wie Biestmilch aussieht.

 

Ein Lamm mit ca. 4kg Geburtsgewicht sollte in den ersten Lebensstunden 12 – 24g Immunglobuline aufnehmen, das entspricht 200- 400ml einer Biestmilch von durchschnittlicher Qualität. Nur ausreichend schwere, lebensstarke Lämmer  von Schafen mit guten Muttereigenschaften schaffen das.

Eine Schlüsselrolle kommt der Ernährung der Mutterschafe in den letzten vier bis sechs Wochen der Trächtigkeit zu. Sie beeinflusst wesentlich das Geburtsgewicht und die Lebenskraft der Lämmer sowie die Menge der gebildeten Biestmilch.

Nach französischen Untersuchungen liefern während der letzten Trächtigkeitswochen ausreichend ernährte Mutterschafe viermal soviel Biestmilch wie Schafe mit einer schlechten Körperkondition.

Eine  an Protein  und Energie ausgeglichene Ration während der letzten Trächtigkeitswochen beeinflusst positiv das Geburtsgewicht des Lammes und seine Fähigkeit, zügig aufzustehen und zu trinken. Sehr kleine Lämmer haben ein siebenmal höheres Risiko, die ersten zwei Lebenstage nicht zu überstehen.

Untersuchungen haben ergeben, dass eine Unterversorgung an Selen während der Trächtigkeit ebenfalls lebensschwache Lämmer verursacht. Selenmangel ist die Ursache der Weißmuskelkrankheit. Schon ungeborene Lämmer können davon betroffen sein. Anfangs wirken die Lämmer steif, bewegen sich ungern, trinken zu wenig, später liegen sie fest und verenden infolge von Herzversagen. Da Selen in den meisten Gegenden nicht ausreichend in den Pflanzen vorhanden ist, müssen die Mutterschafe über Mineralfutter mit  Selen versorgt werden.

 

Konsequenzen für die Praxis:

Nur ausreichend ernährte Mutterschafe haben genügend Biestmilch und lebensstarke, fitte Lämmer, die in kurzer Zeit genügend davon aufnehmen können.

Was in den ersten Lebensstunden verpasst wurde, kann später auch unter größten Mühen nicht wieder aufgeholt werden.

Je ungünstiger die äußeren Bedingungen, desto  wichtiger ist die Biestmilch für das Lamm.